Direkte Demokratie ist langsam, heißt es oft nicht zu Unrecht. Die Schweizerische Mutterschaftsversicherung hat etwa 64 Jahre gebraucht, um zum Gesetz zu werden. Diese Episode zeigt, dass die direkte Demokratie nicht notwendigerweise zu schnelleren Entscheidungen oder mehr politischer Effizienz führt, sehr wohl aber zu mehr Diskussionen über anstehende Themen. Auch in Österreich wird eine Stärkung direktdemokratischer Abläufe intensiv diskutiert, die Schweiz immer wieder als Vorbild genannt. Die Ideen aus den verschiedenen Parteien und Initiativen kreisen um die Frage, ab welcher Unterschriftenanzahl ein Volksbegehren zu einer Volksabstimmung führen sollte. Die einen halten 300.000 für ausreichend, die anderen schon 100.000, wieder andere plädieren für wesentliche höhere Grenzen. Über dem Feilschen um Zahlen wird ein anderer Aspekt in der öffentlichen Debatte ein wenig vernachlässigt, nämlich die fruchtbare Zusammenführung von repräsentativen und direktdemokratischen Instrumenten.
Eine solche scheint aber notwendig, nicht nur, um die hochgeschraubten Erwartungen auf ein realistisches Niveau zu bringen, sondern auch um die Gefahren, die mit einer unhinterfragten Glorifizierung der direkten Demokratie einhergehen, einzudämmen. So wären etwa zwei Beteiligungsformen spannend, von denen die eine die positive Freiheit der BürgerInnen (verstanden als Gestaltungsmöglichkeit), die andere deren negative Freiheit (verstanden als Kontrolle über die Herrschenden) stärken würde: eine Volksinitiative und ein Kontrollreferendum. Beide Varianten ermöglichen eine Kombination aus direkter und repräsentativer Demokratie. Das eine Instrument bietet die Möglichkeit für die BürgerInnen, selbst etwas einzubringen, worauf das Parlament reagieren muss. Das zweite gibt dem Wahlvolk die Möglichkeit, ein unerwünschtes Gesetz aufzuhalten.
Bei der entsprechenden Volksinitiative, die von einer geringen Zahl von BürgerInnen vorgelegt werden kann, muss ein gewisser Anteil der Wahlberechtigten (z. B. 5 %) eine Unterschrift abgeben. Dann ist das Parlament an der Reihe. Dieses muss die Initiative nicht nur behandeln (wie das auch schon beim jetzigen Volksbegehren der Fall ist), sondern innerhalb einer gewissen Frist (z. B. 6 Monaten) ein Gesetz erarbeiten, das dann einer Volksabstimmung unterzogen wird. Wird das Gesetz vom Volk abgelehnt, muss im Parlament ein neuer Entwurf erarbeitet werden.
Beim Kontrollreferendum ist es umgekehrt. Jedes vom Parlament vorgelegte Gesetz kann innerhalb von z. B. 2 Monaten durch eine gewisse Anzahl von WählerInnen beeinsprucht werden. Diese festgelegte Anzahl sollte jener entsprechen, die auch für die Volksinitiative gilt (also z. B. 5 % der Wahlberechtigten). Ein Einspruch führt dann zwingend zu einer Volksabstimmung.
Beide Instrumtente sind in Österreich auf Bundesebene vorstellbar. Die Hürde von 5 % der Wahlberechtigten entspricht derzeit etwa 300.000 Unterschriften. In beiden Varianten wäre das Parlament als wichtigste Institution der repräsentativen Demokratie nicht zu übergehen. Gleichermaßen könnte es sich aber auch nicht gegen massiven Widerstand der BürgerInnen hinwegsetzen. Eine Stärkung der direkten Demokratie sollte allerdings in jedem Fall mit einem größeren Angebot an politischer Bildung kombiniert werden, nicht nur um das konkrete Institutionen- und Prozesswissen der ÖsterreicherInnen zu verbessern, sondern auch, um den demokratischen Austausch zu fördern, die Wichtigkeit der parlamentarischen Einbindung sowie die Gefahren der politischen Manipulation zu besprechen und die Erwartungen der Bevölkerung, die mit mehr Partizipationsmöglichkeiten einhergehen, auf ein realistisches Maß zu bringen. Entsprechende Bildungsangebote könnten im Sinne des derzeit so hoch bewerteten Konzepts lebenslangen Lernens von der Volksschule bis in die Erwachsenenbildung hinein zur Verfügung gestellt werden. Als Vorbild könnte hier das schwedische Modell dienen. Dort hat der schwedische Reichstag im Jahre 2002 ein Gesetz zum Schutz und zur Festigung der Demokratie verabschiedet, das u. a. auf eine Stärkung der politischen Bildung abzielt. Wie in der Schweiz empfiehlt es sich sodann auch für Österreich, vor jeder Abstimmung ein umfangreiches Heft mit Pro- und Contra-Argumenten an jeden Haushalt auszusenden. Zusätzlich wären Diskussionen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zwischen InitiatorInnen und GegnerInnen einer Initiative sinnvoll, um eine breite öffentliche Debatte zu ermöglichen. Der eingangs zitierte Satz bleibt jedenfalls aufrecht: Direkte Demokratie ist langsam. Sie braucht Zeit für ausführliche Diskussionen. Wenn die ÖsterreicherInnen politisch ähnlich geduldig wie die SchweizerInnen sind und das Parlament nicht ausgeschaltet wird, kann ein Mehr an direkter Demokratie durchaus gelingen.